September / 2016 Zahlen, Daten & Fakten zur russischen Wirtschaft und den deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen
Die russische Wirtschaft steckt 2016 im zweiten Jahr in Folge in einer Rezession. Das Land hat in den vergangenen Jahren zu wenige Anstrengungen unternommen, seine Wirtschaft unabhängig von den volatilen Rohstoffmärkten aufzustellen.
Deshalb wurde Russland ab 2014 hart vom Absturz des Ölpreises getroffen. Dies hat auch zu einem starken Verfall des russischen Rubel beigetragen. Schwachstellen der russischen Wirtschaft bleiben die unzureichende Diversifizierung und eine zu hohe Staatsquote, die modernisierungsbedürftige Infrastruktur, die weiterhin zu verhaltene Bekämpfung der Korruption und der erschwerte Zugang zu Krediten. Die seit Sommer 2014 in Folge des Ukraine-Konflikts bestehenden westlichen Wirtschaftssanktionen verschärfen die Krise zusätzlich, vor allem der Finanzsektor ist von ihnen betroffen. Als Reaktion auf die Sanktionen verstärkt die russische Regierung ihre Anstrengungen zur Importsubstitution. Der gesunkene Rubelkurs senkt die Lohnstückkosten für ausländische Investoren und begünstigt die russische Exportwirtschaft. Das Geschäftsklima wurde in den vergangenen Jahren stetig verbessert, zuletzt klagten die Firmen aber über zunehmende Kontrollen und administrative Hürden. Die traditionell stark entwickelte Rohstoffwirtschaft bleibt das Rückgrat der Wirtschaft, die aktuell wachstumsstärkste Branche ist die Agrarwirtschaft. Wirtschaftswachstum: 2015 schrumpfte das russische Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 3,7 Prozent. Unter den größten Volkswirtschaften der Welt nach BIP lag Russland 2015 nach Angaben der Weltbank an 13. Stelle (Deutschland: 4. Stelle). Das BIP pro Kopf der russischen Bevölkerung (143 Millionen) lag bei 8.209 Euro (Deutschland: 37.000 Euro). Der Binnenkonsum, bis 2013 immer ein stabiler Wachstumstreiber, war 2015 mit minus neun Prozent stark rückläufig. Bedingt wurde diese Entwicklung durch zum Teil hohe
Reallohneinbußen, den schwachen Rubel, teure Verbraucherkredite und hohe Zinsen. Die allgemeine konjunkturelle Baisse sorgt für ein zurückhaltendes Kaufverhalten der Bevölkerung, durch die Währungsabwertung verteuern sich ausländische Produkte. Im ersten Halbjahr 2016 schwächte sich die Rezession ab. Der Rückgang des russischen Bruttoinlandsprodukts lag nach Angaben des russischen Statistikamtes RosStat in diesem Zeitraum bei 0,9 Prozent. Für das Jahr 2017 prognostiziert die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) wieder einen leichten BIP-Zuwachs von rund einem Prozent. Geschäftsklima: Im „Doing Business Report“ der Weltbank, der insbesondere die Arbeitsbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen bewertet, rückte Russland unter 189 Staaten 2016 von Platz 62 auf Platz 51 vor. 2011 lag Russland noch auf Rang 123. Auch beim „Global Competitiveness Report 2015-2016“ des Weltwirtschaftsforums vom September 2015 wurde die Wettbewerbsfähigkeit Russlands höher
eingestuft. Unter 140 Staaten rückte Russland um acht Plätze vom 53. auf den 45. Platz vor. Der Ost-Ausschuss führt einmal gemeinsam mit der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK) in Moskau eine Geschäftsklimaumfrage Russland durch – zuletzt zum Jahreswechsel 2015/2016. Wirtschaftspolitische Trends: Die russische Wirtschaftspolitik forciert im Zuge der westlichen Sanktionspolitik eine umfassende Lokalisierung und Importsubstitution. Im Rahmen der Importsubstitution versucht Russland, westliche Industrieprodukte durch Eigenproduktion oder Importe aus vorwiegend asiatischen Ländern zu ersetzen. Das Programm zur Importsubstitution vom März 2015 sieht vor, künftig über 2.200 Produkte in 20 Branchen in Russland selbst herzustellen. Ziel ist eine Verringerung der Importabhängigkeit. Am 30. Juni 2015 trat das Gesetz über Industriepolitik in Kraft, das die Schaffung einer wettbewerbsfähigen Industrie durch Fördermaßnahmen und Vorgaben für die öffentliche Einkaufspolitik anstrebt. Das Thema Lokalisierung wird von der deutschen Wirtschaft aufmerksam verfolgt. Aktuelle Lokalisierungsprojekte deutscher Unternehmen zeigen, dass die deutsche Wirtschaft auch in einem schwierigen Umfeld daran arbeitet, die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland weiterzuentwickeln. Diese Projekte fördern vor allem auch mittelständische Zulieferstrukturen nach dem Motto „Made in Russia for Russia“. Haushalt und Verschuldung: Im ersten Halbjahr 2016 lag das russische Haushaltsdefizit bei 3,3 Prozent des BIP (21 Milliarden Euro).
Zwei in guten Zeiten aus hohen Öleinnahmen gespeiste Fonds werden zur Finanzierung des Haushaltsdefizits herangezogen. Im ersten Halbjahr 2016 wurden 18 Milliarden Dollar aus den Fonds entnommen. Sie waren nach Angaben des russischen Finanzministeriums Ende August 2016 noch mit rund 100 Milliarden Dollar gefüllt (Reservefonds: 32 Milliarden Dollar, Nationaler Wohlfahrtsfonds: 73 Milliarden Dollar). Was Auslandsverschuldung und Reserven angeht, weist Russland nach wie vor sehr solide Werte auf (Bruttoauslandsverschuldung rund 39 Prozent des BIP, öffentliche Verschuldung unter 15 Prozent des BIP, Währungsreserven 395 Milliarden Dollar).
2. Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland Handelsentwicklung: Der deutsch-russische Handel ist seit vier Jahren rückläufig. Diese Tendenz wurde durch die gegenseitigen Sanktionen weiter beschleunigt. Seit dem Rekordjahr 2012 hat sich das deutsch-russische Handelsvolumen von 80 Milliarden Euro auf nunmehr 52 Milliarden Euro verringert. Dies ging vor allem zu Lasten der deutschen Exporte nach Russland. Diese haben sich seit 2012 von 38 Milliarden Euro nahezu halbiert. 2015 schrumpften die deutschen Ausfuhren nach Russland um 26 Prozent auf nur noch 21,8 Milliarden Euro. Parallel dazu sanken die Importe aus Russland um 22 Prozent auf 29,8 Milliarden Euro. Sowohl bei den Importen als auch bei den Exporten verlor Russland in der Rangliste der deutschen Außenhandelspartner an Boden: Unter den deutschen Absatzmärkten belegte Russland 2015 nur noch Rang 15 (2012: Rang elf). Besonders betroffen von der Entwicklung ist der deutsche Maschinenbau, auch weil die westlichen Sanktionen gegen die russische Energie- und Rüstungswirtschaft zur aufwändigen Prüfung vieler Maschinenexporte führt. 2015 gingen die Maschinenexporte nach Russland um fast 27 Prozent auf gut 4,7 Milliarden Euro zurück. Damit lag Russland nur noch auf Platz elf unter den Exportmärkten des deutschen Maschinenbaus, 2012 lag es auf Platz vier. Unter den russischen Gegensanktionen im Agrarbereich leidet wiederum die deutsche Landwirtschaft. Die deutschen Bauern erleiden dadurch nach Zahlen des Deutschen Bauernverbands einen jährlichen Verlust von einer Milliarde Euro. Für das Jahr 2016 prognostiziert der Ost-Ausschuss einen weiteren leichten Rückgang des Handels. Die deutschen Exporte dürften
um rund eine Milliarde Euro auf 20,5 Milliarden Euro zurückgehen, die deutschen Importe aus Russland sinken voraussichtlich um fast vier Milliarden Euro auf rund 26 Milliarden Euro. Trotz der rückläufigen Volumina war Deutschland für Russland im vergangenen Jahr nach China weiterhin der wichtigste Handelspartner. 7,4 Prozent der gesamten russischen Exporte gingen in die Bundesrepublik, die damit hinter den Niederlanden und China auf Platz drei rangierte. Importseitig war Deutschland nach China mit einem Marktanteil von 11,2 Prozent das zweitwichtigste Lieferland. Deutsch-Russischer Handel: Die wichtigsten fünf Warengruppen im 1. Halbjahr 2016 Deutscher Export: Waren in Mio. Euro Maschinen 2.279,9 Kraftwagen und Kraftwagenteile 1.734,3 Chemische Erzeugnisse 1.231,8 Pharmazeutische und ähnliche Erzeugnisse 679,3 Elektrische Ausrüstungen 640,1 Gesamt: 10.089,2 Deutscher Import: Waren in Mio. Euro Erdöl und Erdgas 7.200,5 Kokerei- und Mineralölerzeugnisse 1.819,4 Metalle 1.446,6 Kohle 531,8 Chemische Erzeugnisse 374,7 Gesamt: 12.254,6
Deutsche Investitionen: Die überwiegende Mehrheit der deutschen Unternehmen hält trotz der schwierigen politischen Bedingungen am russischen Markt fest. Seit Beginn der Krise ist die Präsenz deutscher Unternehmen auf dem russischen Markt nur leicht von rund 6.000 auf 5.600 gesunken. Die Unternehmen nutzen die Zeit des abgekühlten Wachstums, um sich strategisch besser aufzustellen, personelle Überkapazitäten abzubauen und sich für die Zeit der anziehenden Konjunktur zu präparieren. Für Neueinsteiger ist die Zeit günstig, da Immobilien im Preis deutlich billiger und zahlreicher verfügbar sind. Das gleiche gilt für Übernahmen. Auch qualifizierte Arbeitskräfte, an denen in Russland lange Zeit Mangel herrschte, stehen dem Arbeitsmarkt aktuell in größerer Zahl zur Verfügung. Die Schwäche des Rubels und der starke Rückgang der Lohnkosten machen eine Produktion im Inland attraktiver und sogar einen Export aus Russland heraus in Drittländer möglich. Es gab in den letzten Monaten zudem eine Vielzahl neuer Investitionsprojekte. Die Wirtschaftsberatung Ernst & Young hat in einer aktuellen Studie 36 neue deutsche Investitionsprojekte für 2015 ermittelt. Nachdem 2014 die deutschen Direktinvestitionen in Russland um 200 Millionen Euro sanken, wies die deutsche Bundesbank für 2015 neue deutsche Direktinvestitionen in Russland im Umfang von 1,8 Milliarden Euro aus. Im ersten Halbjahr 2016 wurden bereits weitere 1,7 Milliarden Euro an deutschen Direktinvestitionen in Russland verzeichnet. Auch große Leuchtturmprojekte wie die geplante Pipeline Nord Stream 2, eine Eisenbahn-Hochgeschwindigkeitstrasse zwischen Moskau und Kasan und die 2018 anstehende Fußball-Weltmeisterschaft in Russland könnten zu einer neuen Dynamik in den Wirtschaftsbeziehungen beitragen.
3. Wirtschaftssanktionen
Im August 2014 wurden zwischen der EU und Russland als Folge der Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine erstmals seit Beendigung des Kalten Krieges gegenseitige Wirtschaftssanktionen eingeführt, im September 2014 folgte deren Ausweitung. Hinzu kommen direkte Sanktionen der EU gegen einzelne Firmen, Organisationen und Personen. Die EU-Wirtschaftssanktionen beinhalten ein Waffenembargo, Finanzmarktsanktionen sowie Beschränkungen oder Verbote bei der Lieferung von Dual-Use-Gütern sowie spezifischer Ölfördertechnologie und -ausrüstung. Rechtsfolgen der Sanktionen sind Beschränkungen
und Verbote bei der Ausfuhr von Gütern und Technologie nach Russland. Auch sind Vermittlungsgeschäfte und Dienstleistungen im Zusammenhang mit den Gütern betroffen. Sanktionsverstöße sind strafbewehrt. Von russischer Seite wurde seit August 2014 gegen diejenigen Länder, die sich an den Sanktionen beteiligen, ein Importstopp von Agrargütern eingeführt. Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten haben im März 2015 den Abbau der Handels- und Investitionsbeschränkungen gegen Russland an die vollständige Umsetzung des so genannten Minsker Abkommens zur Befriedung des Konflikts in der Ost-Ukraine geknüpft. Zuletzt verlängerte die EU im Juni 2016 die Wirtschaftssanktionen gegen Russland bis Ende Januar 2017. Als Reaktion darauf hat Russland das Importverbot für Agrarprodukte aus der EU bis Ende 2017 verlängert. Am stärksten betroffen sind deutsche Unternehmen von den Finanzmarktsanktionen, die es russischen Banken erschweren, sich am internationalen Kapitalmarkt zu refinanzieren, und Kredite für russische Kunden stark verteuern. Sanktionsfolgen für die deutsche Wirtschaft: Der EU-Russland- Handel ist von 2013 bis 2015 um 120 Milliarden Euro oder umgerechnet 35 Prozent eingebrochen. Russland fiel dadurch noch hinter die Schweiz an die vierte Stelle der wichtigsten EU-Handelspartner zurück. Die deutschen Exporte nach Russland schrumpften seit 2013 um 40 Prozent (35 Milliarden auf 21 Milliarden Euro). Diese Rückgänge sind aber nur teilweise auf die Sanktionen zurückzuführen, denn es gibt konjunkturell wichtigere Einflussfaktoren wie den stark gesunkenen Ölpreis, der einen großen Anteil am Niedergang der Konjunktur in Russland und weiteren Ländern der Region hat. Für Deutschland haben Forscher der Universitäten Bremen und Leipzig im Juli 2016 eine Berechnung der Sanktionsfolgen publiziert. Sie berechnen für die Jahre 2014 und 2015 einen sanktionsbedingten Produktionsverlust in Deutschland in Höhe von 13,5 Milliarden Euro, was einem sanktionsbedingten Verlust von 60.000 Arbeitsplätzen entspräche. Dabei wird der direkte Exportrückgang durch die Sanktionen für beide Jahre zusammen nur auf 4,4 Milliarden Euro beziffert. Die indirekten Effekte entlang der Wertschöpfungskette (inklusive Rückgänge im Tourismus) werden dreimal höher eingeschätzt als die reinen Exportausfälle. In den letzten Monaten gab es verhalten positive Zeichen einer Annäherung zwischen Deutschland und Russland. Dazu gehören unter anderem Vorschläge von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier für einen schrittweisen Abbau der Wirtschaftssanktionen parallel
zu substanziellen Fortschritten bei der Umsetzung des Minsker Abkommens. Am 24. Juni 2016 traf sich in Berlin nach mehr als zwei Jahren Pause erstmals wieder die deutsch-russische Strategische Arbeitsgruppe für Wirtschaft und Finanzen (SAG). Sie gilt als wichtigstes Gremium für die deutsch-russische Wirtschaftszusammenarbeit. Eine aktuelle Übersicht zu den bestehenden Sanktionen finden Sie hier: www.gtai.de/russland-sanktionen. |